Gottesdienst Gründonnerstag 2024 | Zerbrochen in der Tiefe - Gehalten durch das Kreuz

Gottesdienst Gründonnerstag 2024 | Zerbrochen in der Tiefe - Gehalten durch das Kreuz

Gottesdienst Gründonnerstag 2024 | Zerbrochen in der Tiefe - Gehalten durch das Kreuz

# Neuigkeiten

Gottesdienst Gründonnerstag 2024 | Zerbrochen in der Tiefe - Gehalten durch das Kreuz

Hier ein Teil der Predigt von Kristina Ziemssen, Sven Leutnant und Peter Schütte.

Liebe Schwestern und Brüder,

     Wenn ich mich morgens früh unmittelbar nach dem Aufstehen im Spiegel ansehe, dann kann es sein, dass ich keinesfalls von meinem Aussehen begeistert bin. Ich muss mich erst „herrichten".

     Ich nehme an, dass Ihr alle Euch heute im Spiegel angeschaut haben, um sich „schön zu machen": die Männer, um sich zu rasieren und zu kämmen, die Frauen, um ihr Gesicht und ihre Frisur herzurichten. Vielleicht hat mancher sogar noch einmal kurz vor dem Gottesdienst einen Blick in den Spiegel geworfen, um zu prüfen, ob alles in Ordnung ist.

     Wir wollen ja ordentlich und gut aussehen. Wir wollen uns nicht nur selbst gefallen, sondern auch andere sollen uns ansehnlich finden. Wir richten uns her, damit wir uns sehen lassen können.

     Es ist ein verständlicher Wunsch, gern angesehen zu werden und damit auch an-gesehen zu sein. Jedenfalls leben davon ganze Industriezweige: Kosmetik, Solarien, die Modebranche.

     Heute haben wir hier auch einen Spiegel aufgestellt. Anders als zuhause. Kommt nun alle mal nach vorn und schaut Euch in diesem Spiegel an. Währenddessen hören wir Musik. Lasst Euch Zeit! Schaut euch intensiv und genau an …

 

  Ihr habt etwas anderes gesehen als daheim. Natürlich, da war Euer Gesicht mit Augen, Nase, den Mund und Haaren. Aber unser vertrautes Gesicht erscheint irgendwie fremd, durchzogen von Linien. Ist das unser wahres Gesicht? Was ist eigentlich unser wahres Gesicht? „Heute habe ich mein Ausgehgesicht aufgesetzt", sagte mir mal jemand. Was meinte er eigentlich damit?

     In diesem Spiegel hier schauen wir nicht so aus, wie wir uns sehen wollen. Die Linien stören auf der Spiegelfläche. Sie verändern und verzerren unser Spiegelbild. Sie erinnern an Sprünge und Brüche.

  Wird hier nicht etwas von unserem Wesen sichtbar? Ziehen sich nicht auch durch mein Leben Sprünge und Risse? Erinnert mich dieser Spiegel nicht an die verborgenen Seiten, die nur ich kenne, an das, was ich selbst gar nicht gerne sehen, keinesfalls aber zeigen will?

 

  Dieser Spiegel erinnert daran, dass in meinem Leben vieles sehr bruchstückhaft und sehr unvollkommen ist. Es gehören Schwächen, Fehler, Versagen, Schuld dazu. Es gehören zu ihm auch Eitelkeit, Hochmut, Wichtigtuerei, Unbarmherzigkeit, Selbstherrlichkeit. Oft fühle ich mich gegen den Anschein keinesfalls stark, eher schwach und hilflos. Ich spüre meine Ohnmacht mir selbst gegenüber, ich spüre meine Fehler und Versuchungen. Ich habe Schwächen, die mich verführbar machen. In meinem Leben gibt es Risse und Sprünge, die nach außen verborgen sind, die nur ich kenne.

     Wie gehe ich damit um? Wie gehe ich mit dem um, was ich falsch mache oder unterlasse, was mir misslingt, wo ich kneife, einen großen Bogen drum mache, wenn ich es mit der Wahrheit nicht so genau nehme?

 

  Die Bruchstücke des Spiegels sind hier in den Rahmen eines Kreuzes gefasst. Unser Kreuz ist einem Spiegelkreuz nachempfunden, das der Künstler, Wolfgang Seehaus ursprünglich aus lauter zusammengesetzten Spiegelscherben hergestellt hat. Er hat die Scherben so aneinandergefügt, dass sie eine neue Fläche ergeben: ein Kreuz von über einem Meter Höhe, das in eine Holzplatte eingelegt ist.

     Die Fläche dieses Kreuzes ist zersplittert und in sich gebrochen, denn die aneinander gefügten Scherben ergeben keine glatte Oberfläche mehr.

     Eine ähnliche Wirkung erzeugt auch unser Spiegel, der dem Kreuz des Künstlers Seehaus nachempfunden ist: Linien, die Brüche andeuten sollen, lassen kein klares Spiegelbild entstehen.

     Das Spiegelkreuz von Wolfgang Seehaus ist umgeben von verschiedenen dunklen Farben, wie wenn damit Landschaft angedeutet werden soll: Das Kreuz ist in eine dunkle Umgebung hineingestellt –  in unsere Welt. Über dem Kreuz wird es in seinem Kunstwerk heller. Licht bricht sich von oben her durch. Ein Hoffnungszeichen!

 

  Seehaus hat seinem Kunstwerk den Titel gegeben: Ich (Betrachter) zerbrochen in der Tiefe, gehalten durch das Kreuz. Die Spiegelscherben, die für die Brüche meines Lebens stehen, werden durch den Rahmen des Kreuzes gehalten. Unser Spiegelkreuz sagt mir ebenfalls, dass auch mein Leben mit meinen Brüchen gehalten ist.

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed